Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Zu Gott mit Pauken und Trompeten – Rosalía wird auf „Lux“ sinfonisch

Zu Gott mit Pauken und Trompeten – Rosalía wird auf „Lux“ sinfonisch

Der Berliner Technoclub Berghain hat ja schon öfter Eingang in die Popmusik gefunden. Die Feststellung, dass viel Geld einen vielleicht Autos ins Weltall schießen lassen kann, aber trotzdem nicht auf jede Tanzfläche bringt, machte etwa 2022 die Berliner Indieband Von Wegen Lisbeth im Song „Elon (Musk kommt nicht ins Berghain“). Musk selbst sagte, er habe da gar nicht reingewollt. Weil „Peace“ an der Wand gestanden habe.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

2025 gibt es wieder einen Song über Berlins bekanntesten Tanzladen – von Rosalía Vila Tobella. Die neue Single der Grammy-Preisträgerin (bisher 24,3 Millionen verkaufte Tonträger) heißt schlicht „Berghain“. Von der Vorbotin ihres vierten Albums „Lux“, das in den sozialen Netzwerken durch einen Cyberangriff komplett geleakt wurde, erwartete man eher Technoides.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Stattdessen lässt das London Symphony Orchestra seine Streichinstrumente zucken, stechen, schwirren, ein Chor hämmert auf Deutsch: „Seine Angst ist meine Angst / seine Wut ist meine Wut“, Rosalías Stimme steigt – ebenfalls auf Deutsch – in opernhafte Höhen. Im Video spielt ein Orchester im Bus, in einem Hausflur, bei Rosalía in der Wohnung. Wo auch Waldtiere erscheinen, die sich in ihrem Traum in unheimliche Mensch-Tier-Wesen verwandeln.

Der Song, den die Spanierin mit der isländischen Pop-Avantgardistin Björk und dem US-Experimentalmusiker Yves Tumor aufgenommen hat, und der rund 18,6 Millionen Aufrufe bei YouTube zählt, handelt von Liebe, Eros und Spiritualität. „Der einzige Weg, uns zu retten, ist durch göttliches Eingreifen“, singt Björk. „Ich f…e dich, bis du mich liebst“, repetiert Tumor auf Englisch. Auf Spanisch singt Rosalía von der Selbstauflösung in Liebe: „Ich bin nur ein Stück Zucker / ich weiß, dass mich die Hitze schmelzen lässt.“

Der Club löst sich auch auf. Vom Berghain ist in Clip und Text nicht einmal die Rede. Der Name steht hier eher für nicht Greifbares – eine Chiffre für Freiheit, Selbstfindung und Verwandlung. Er ist ein metaphysischer Ort, der auch auf die Sehnsucht verweist, sich beim Tanzen in Sound und Licht zu verlieren.

Rosalía im Song "Berghain", der ersten Single des Albums "Lux"

So geht es auf dem gesamten Album „Lux“ (lat. für „Licht“) darum, Grenzen zu überwinden, das Schöpferische auszuloten. Um das also, was Rosalía im Grunde schon immer tat, seit sie im Frühjahr 2017 mit dem Flamenco ihres Albumdebüts „Los Ángeles“ auf der Szene erschien.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Alles steckt im Flamenco“, so sah es die katalanische Sängerin, die im Alter von neun Jahren Gitarre lernte, damals: „Spiritualität, Loyalität, Demut, Tapferkeit.“ Und die „New York Times“ nannte sie den „Popstar, der einer neuen Generation den Flamenco brachte“, als sie 2018 auf ihrem zweiten Album „El Mal Querer“ (Das böse Wollen) die spanische Tradition mit elektronischen Elementen verband. Rosalía wurde ein weltweiter Name, vor allem in Lateinamerika, in Großbritannien und den USA.

Rosalía, 2018 in der "New York Times"

Es gab Duette mit Bad Bunny, The Weeknd, mit Billie Eilish sang sie „Lo vas a olvidar” (Du wirst es vergessen), den Titelsong zur HBO-Serie „Euphoria“, in deren nächster Staffel sie mitspielen wird.

Das dritte Album „Motomami“ (2022) über die Dualität von Stärke und Verletzlichkeit vermischte den von Rosalía geliebten Reggaeton (eine Melange aus Reggae, Hip-Hop, Electro und Latin) mit anderen Latin-Music-Richtungen. Das Experiment funktionierte, das Album wurde ein Erfolg.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nun also der nächste Schritt. Weg vom Pop? „Ich will denken, dass meine Musik Pop ist“, versicherte die 33-Jährige dieser Tage in einem Interview mit Jon Caramanica vom „New York Times“-Podcast „Popcast“ über „Lux“. „Es muss einen anderen Weg geben, Pop zu machen – Björk hat’s bewiesen, Kate Bush hat’s bewiesen.“ „Lux“ ist ein Klassik-Pop-Hybrid – gesungen in 13 Sprachen.

Und dann wird es „Lux“, und tausend Lichter gehen an, wenn der Opener „Sexo, Violencia y Llantas“ (Sex, Gewalt und Reifen) losbricht. 13 Sprachen finden sich in den 18 Stücken – Katalanisch, Spanisch, Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Hebräisch, Japanisch, Latein, Mandarin, Portugiesisch, Sizilianisch und Ukrainisch. In 100 Zungen hätte Rosalía am liebsten gesungen. Die Arbeit an der Lyrik – mit Sprachlehrern – dauerte allein ein Jahr.

Rosalías Zeit im Konservatorium in Barcelona findet auf „Lux“ ihr Echo. Es ist im Kern ein Klassikalbum, aufgeteilt in vier „Sätze“ wie eine Sinfonie – das Orchester hat jedoch Gesellschaft von Autotune, Raps, den klatschenden Händen des Flamenco und vielen anderen Pop-Elementen. Die Londoner E-Musiker spielen zu Latinrhythmen in „Dios es un Stalker“, die Geigen sausen wie Messer in „Porcelana“, Trommeln rollen in „Divinize“. Und Bläser geben Drama ins walzernde „La Perla“.

Die emotionale Zerrissenheit des Menschseins wird auch auf „Lux“ aufgezeigt: Der Mensch fühlt sich als Königin, dann als Nichtswürdige. „Gott zu sein, hat noch keine Frau behauptet“, wird im Booklet die frühmittelalterliche muslimische Mystikerin und „Gottesfreundin“ Rabi‘a al-Adawiyya al-Qaisiyya zitiert. Der Weg aus den Extremen ist der zum strahlenden Selbst, zum Licht der Erkenntnis, zum Göttlichen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Spiritualität bei Distanz zu religiösen Institutionen: Auf dem Albumcover sieht man Rosalía als Nonne in Zwangsjacke.

Auf dem Cover ist Rosalía mit Nonnenhaube in einer Art Zwangsjacke zu sehen. Damit wird klar, dass sie keine Missionarin ist, vielmehr jemand, der keine Gottesbünde und -häuser als einengend empfindet.

Eine Spiritualität bei Distanz zu religiösen Institutionen zieht sich durch das Album, dessen Lyrik gespeist ist von Lektüre – etwa der Werke der feministischen US-Autorin Chris Kraus, der Utopistin Ursula K. Le Guin oder der mittelalterlichen Mystikerin Hildegard von Bingen.

Eine Reise sei das Album, sagt Rosalía. Und dieses freudig-kühne Schreiten weg vom Mainstream hin zu einer Art Oper unternimmt sie mit dem Selbstvertrauen, das eine Künstlerin von einer Unterhalterin trennt. Auf „Lux“ ist keine Angst vor einem Scheitern zu spüren. Nur die Zuversicht, das Richtige zu tun.

Rosalía im Podcast "Popcast" der "New York Times"

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das hier ist kein netter Pop. Der Hörer wird gefordert. „Lux“ ist ein Album für Musikfans, die Pop nicht als das enge kleine Zimmer steter Bestätigung ihres Musikgeschmacks haben wollen, sondern als das endlose Universum des Musik-Möglichen, durch das die Fahrt nie enden wird.

Man kann, muss aber nicht alles durchdringen. „Lux“ lässt sich erfühlen, auch mit Eigenem erfüllen. Rosalías Reise ist bewegend, berührend, gelegentlich überwältigend. Taylor Swifts hübsches „The Life of a Showgirl“-Album wirkt klein dagegen.

Ein Geist herrscht, wie er die Musikerinnen und Musiker der 1960er-Jahre vorantrieb, die damals den Rock’n’Roll aus seiner Verschlagerung holten, um ihn zu erneuern und in tausend Richtungen voranzutreiben. „Let me make space”, sagt Rosalía. Der „Starman” David Bowie würde da applaudieren. Und Rosalías Seelenverwandte Björk ist ohnehin an ihrer Seite, schon zum zweiten Mal nach der Charitysingle „Oral“ von 2023.

„Sieben Himmel? Na und!“, heißt es in „La Yugular“ (Die Halsschlagader). „Ich will den achten Himmel sehen, den zehnten Himmel, den tausendsten Himmel / Weißt du, es ist wie ...“, das erinnert an die erste Single der Doors von 1967, „Break on Through (To the Other Side)“.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Meine liebsten Künstler sind die, die einem nicht geben, was man will, sondern was man braucht“, sagte Rosalía im „Popcast“ der „New York Times“. Mit dieser Haltung verkauft man vielleicht nicht ganz so viele Einheiten wie Taylor Swift. Aber Rosalía kommt garantiert ins Berghain.

So sei dem Pop am Ende gewünscht, was – angeblich – Goethes letzte Worte waren: „Mehr Licht.“

Rosalía – „Lux“ (Columbia Records) - erscheint am 7. November

rnd

rnd

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow